Hinweis: Sämtliche Namen sind in meinem Buch geändert - nur der Name der Autorin ist geblieben.
Dieses Buch widme ich psychisch kranken Menschen – zu denen auch ich gehöre – und Norwin, der mich zum Schreiben inspirierte mit seinem steten Rat: »Verliere nicht deinen Weg aus den Augen; bleib immer du selbst, ändere dich niemals nur zum Gefallen anderer!« und meinem Sohn.
»Gewesen, aber nicht vergessen – wie die Vergangenheit mein Denken, mein Tun und mein Fühlen bis heute beeinflusst.«
»Auch der unscheinbarste Mensch hat seine Geschichte, und die Geschichte der unscheinbaren Menschen ist bedeutend interessanter und lehrreicher, als die Geschichte manch eines berühmten Menschen, zumal diese für den öffentlichen Gebrauch oft zurechtgestutzt wird. Marketingstrategien nennt man das neudeutsch.
Die wahre Geschichte der wahren Menschen ist bis heute kaum noch geschrieben.«
(Frei nach Johannes Robert Becher)
Vorwort:
Es ist später Abend geworden und ich bin wieder einigermaßen nüchtern. Gerade bin ich aus dem Krankenhaus entlassen worden, oder besser, habe mich selbst entlassen, obwohl der behandelnde Arzt plante, mich in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Doch ich wollte zurück in meine vertraute Umgebung, und entsprechend strikt war meine Weigerung. Meinen Suizidversuch habe ich überlebt. Die tiefen Wunden, die ich mir mit einer scharfen Rasierklinge zugefügt hatte, wurden genäht und geklammert. Von alldem hatte ich nichts mitbekommen; ich war zu betrunken. Hans, der Mann, dem ich mein Leben nach einem heftigen Streit opfern wollte, schläft tief und fest.
Weit nach Mitternacht liege ich noch immer unruhig in meinem Bett und drehe mich von einer Seite zur anderen. An Schlaf ist nicht zu denken, zu viele Gedanken kreisen in meinem Kopf. Joshua, mein Sohn, hat mich im Hospital angerufen und sich nach mir erkundigt. Die Familie ist in Aufruhr und macht sich große Sorgen um mich.
Die frischen Wunden an den Armen schmerzen höllisch. Langsam öffne ich meine Augen. Der Hals ist trocken, meine Nase verstopft. Meine besten Freunde am heutigen Abend hießen Blutorange-Wodka und Sekt.
Alles dreht sich um mich und in mir herrscht eine tiefe Traurigkeit. Mein rasender Herzschlag macht mir Angst und meine Hände zittern wie Espenlaub. Meine Atmung habe ich auf Sparflamme heruntergefahren und am liebsten würde ich sie ganz aufgeben und die Reise in den Himmel antreten. Was ich auch anstelle, die Rettung ist immer nah. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die schließlich die Wangen hinunter kullern.
Schlafen. So gerne würde ich schlafen und abschalten, aber es geht nicht. Soll ich liegenbleiben oder doch besser aufstehen? Nach kurzer Überlegung entscheide ich mich für Letzteres. Doch nicht einmal das gelingt mir. Meine Beine sind schwer wie Blei. Das Karussell dreht sich immer schneller. Mit meiner Hand taste ich im Dunklen zum Nachtschränkchen hinüber. Ich bin auf der Suche nach meiner Brille. Mein Blick schweift zur Uhr, die Zeiger stehen auf 03:01 Uhr. Langsam finde ich aus dem Bett heraus. Die Brille sitzt auf der Nase. Auf Licht verzichte ich, um Hans nicht zu wecken und gehe ins Gästezimmer hinüber, taste im Dunkeln den Pult nach etwas zum Schreiben ab. Geschafft und gefunden. Jetzt schleiche ich mich mit Block und Kugelschreiber bewaffnet durch das Haus und gehe vorsichtig die Treppen, Stufe für Stufe, hinunter in den Flur. Jetzt bloß keine falsche Bewegung, denke ich, oder du plumpst auf den Hintern. Ich klammere mich am Geländer fest. Unten angekommen, führt mich mein erster Gang ins Badezimmer. Meine Augen kneifen sich zusammen, als ich den Lichtschalter betätige und grelles Licht mich umgibt. Vorsichtig öffne ich sie wieder. Ein Blick in den Spiegel verrät nichts Gutes. Das soll ich sein? Wer bin ich eigentlich? Meinen Namen weiß ich, doch sonst?
Der Magen rebelliert erneut. Mir ist nicht nur schlecht, sondern die Kehle ist ausgetrocknet und ich habe schrecklichen Durst. Der nächste Gang führt mich also in die Küche. Hier nehme ich mir eine Flasche Aqua-Wellness-Birne-Melisse-Malve-Geschmack aus dem Kühlschrank und setze zum ersten Zug an. Das stille Wasser steigt wieder nach oben, ich muss würgen. Doch ich schlucke die Flüssigkeit wieder hinunter. An dieses Getränk werde ich mich wohl langsam herantasten müssen.
Ausgerüstet mit den Dingen, die ich zum Schreiben brauche, bewege ich mich in Richtung Wohnzimmer. Hier knipse ich das Licht an. Es ist still. Trixi, meine Hündin und treue Begleiterin, liegt auf ihrer kuschligen Decke auf dem Sofa. Molly Malone, mein schwarz-weißes Samtpfötchen, liegt im Sessel am Kamin. Beide Tiere heben ihre Köpfchen und schauen mich an.
<Hallo Ihr beiden>, denke ich und schaue sie lächelnd an. Zuerst gehe ich auf Trixi zu und streichle sie. Ihr Fell ist weich und ihr Körper warm. Liebevoll schaue ich meine Hündin an und sage ihr, dass ich sie lieb habe. Mein Blick schweift im Wohnzimmer hin und her. Erneut fange ich an zu grübeln, aber auch zu staunen. Es haben sehr viele Veränderungen in den letzten Tagen stattgefunden. Veränderungen, an die ich mich gewöhnen muss. Hans hat mich mit einer anderen Frau betrogen, und ich fand es durch einen dummen Zufall heraus. Eine Weile versuchte ich zu kämpfen, kämpfte um ihn, ihn, der mich betrogen hatte - er kämpfte nicht. Vielmehr stellte er mir im Streit den Strom ab, sodass ich angstvoll im Dunklen saß. Im Moment versuche ich, alles als Chance zu sehen. Meine Gefühle, mein Denken und Handeln irgendwie positiv zu beeinflussen.